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Keine Angst

(Land der Lesath im Jahre 1017)

Das Fest des grünen Kometen

Es blieb nicht bei den beiden Schatten, die das erste Mal im Lager der Windklingen in Erscheinung traten. Auch im Rest der Stadt und in den anderen Lagern trieben sie ihr Unwesen. Die Freunde hatten bei der Begegnung mit den Schatten mehr Glück als Verstand gehabt. Andere trugen durch Angriffe der Schatten schwerwiegende Verletzungen davon und Gerüchten zufolge soll es sogar schon Tote gegeben haben.

Auch in diesem Jahr wurden die Windklingen durch das Lager des grünen Kometen anlässlich ihres Grüne-Sonnen-Festes, als Torwache angeheuert. Während der Rest im Lager blieb, traten Kaya, Rosa, Bolli und Tarnis bei Einbruch der Nacht ihren Dienst am Einlass des Alcyonitenlagers an. Wie auch in den vergangen Jahren gab es eine Gästeliste, die durch die Torwache überprüft wurde. Natürlich setzte mit Beginn des Dienstes auch der Regen ein. Glücklicherweise wurde den Windklingen das Lazarettzelt direkt am Eingang zur Verfügung gestellt sodass sie nicht durchgehend im Regen stehen mussten. Auch für ausreichend Haradnin wurde natürlich wieder gesorgt. Es lief alles entspannt, die geladenen Gäste durften in das Lager und auch ungeladenen Gästen konnten die Klingen gegen eine gewisse Gegenleistung bisweilen weiterhelfen…

Etwas eng wurde es allerdings irgendwann als eine ca. 10 köpfige Orkgruppe, angeblich auf der Durchreise und auf der Suche nach Unterschlupf, im Lazarettzelt untergebracht wurden und den Windklingen sowohl den Platz am Feuer als auch die ihnen gestellten Vorräte wegnahmen. Kaya konnte allerdings noch rechtzeitig den Krug Haradnin sicherstellen bevor die Orks sich auch diesen einverleibt hätten.

So vergingen die ersten Stunden des Festes relativ unspektalulär bis ein Ritual, in dem der alte Priester der Alcyoniten, der sich im letzten Jahre im Kampf gegen Teki geopfert hatte, wiederbelebt werden sollte. Das Ritual begann, das Lager war rund um den Altar durch leuchtend grünen Nebel erfüllt und die Krieger Alcyons riefen ihre Beschwörungen. Es war ein beeindruckendes Schauspiel und Kaya lief es, obwohl sie derlei Ritualen bereits mehrmals beiwohnen durfte, eiskalt den Rücken herunter.

Plötzlich gab es im Lager einen nicht zu ortenden Aufschrei und es brach Tumult aus. Der Hauptmann eilte zum Tor und rief den Windklingen zu, dass sie das Tor schließen sollten. Gemeinsam schlossen sie das Tor und legten den schweren Balken vor.

“Was ist denn los?”, fragte Tarnis.

“Ich habe keine Ahnung. Das Ritual läuft aber anscheinend weiter…”, antwortete Kaya.

Um den Altar herum wurden neben den Beschwörungsformel Schreie laut. “SAMMELT EUCH UM DAS FEUER!”, hörten die Windklingen jemanden rufen.

Die vier Freunde wussten nicht, was los war, sammelten sich jedoch blitzschnell an dem großen Feuerkorb am Tor und bildeten zu viert einen Pulk. In der Mitte das Feuer, standen Tarnis, Rosa, Bolli und Kaya mit gezückten Schwertern, Dolchen und…Kochlöffeln da und starrten aufmerksam in die Dunkelheit um sich herum, als ein ihnen wohl bekannter Laut die Nacht durchbrach. Und dann sahen sie sie…die Schatten waren gekommen und schlichen um die Festbesucher.

“Bleibt dicht zusammen, Leute!”, sagte Bolli und hob seinen Schild schützend vor die kleine Gruppe.

“Sollen wir zu den anderen rüber? Die haben mehr Fackeln und auch mehr Waffen.”, gab Tarnis zu Bedenken.

“Zu spät”, sagte Kaya, “sie sind schon zwischen uns und wir kommen nicht mehr rüber!”

Und kaum hatte sie ausgesprochen, griffen die Schatten an und die vier Freunde waren umzingelt. Rücken an Rücken versuchten sie sich zu verteidigen doch ihre Klingen schienen einfach durch die Schatten hindurchzugleiten. Kaya hörte ihre Freunde schreien und sah, wie Tarnis zu Boden ging. Bevor sie nach ihm schauen konnte, traf auch sie eine Schattenklinge und bohrte sich direkt oberhalb ihres rechten Schlüsselbeins ins Fleisch. Kaya versuchte, ihr Schwert zu heben, doch ihr Arm hing schlaff herunter. Und da traf sie auch schon eine zweite Klinge am Bein und zwang sie in die Knie. Es wurde kalt und dunkel um sie herum und sie fiel neben Tarnis in den Schlamm. Verschwommen konnte sie Rosa und Bolli erkennen, die ebenfalls auf dem Boden lagen und sich nicht rührten. Dann wurde alles dunkel.

Keine Angst mehr

Als Kaya wieder zu sich kam, erwachte sie auf ihrem Stuhl an der Feuerstelle in ihrem Lager. Sie hatte unsägliche Schmerzen, dort wo sie von den Klingen der Schatten getroffen wurde und ihr war eiskalt. Sie untersuchte die Stellen, doch es waren keine Wunden zu sehen. Auch Bolli, Tarnis und Rosa kamen im Lager zu sich, wo Cord, Rory, Gentiana und Arno sie entgeistert ansahen. Mit an der Feuerstelle saß Videra, eine dem Chaoslager zugetane Herumtreiberin, die in diesem Jahr in der Metwabe aushalf.

“Was ist denn passiert?”, rief Rory.

Und die Vier begannen zu erzählen und die anderen lauschten mit entsetzten Augen den Berichten der Freunde. Kaya war erfüllt von einer inneren Unruhe, die immer stärker zu werden schien. Überall in der Schwärzer der Nacht, die sich um das Lager gelegt hatte, sah sie Schatten und Gefahren. Unruhig rutschte sie auf ihrem Platz hin und her und stocherte ständig im Feuer um es anzuheizen. Die anderen wirkten beruhigend auf sie ein, doch Kayas Angst vor der Dunkelheit wurde immer größer.

Als Bolli dann noch fragte, wer ihn und Videra hinunter zur Metwabe begleiten wolle, ergriff sie Panik: “Ihr könnt doch nicht alleine im Dunkeln herumlaufen. Die Schatten lauern doch überall!”

Videra, die neben Kaya Platz genommen hatte, beugte sich zu ihr hinüber.

“Du musst dich beruhigen. Wovor hast du denn Angst?”, fragte sie Kaya.

“Vor was? Vor den Schatten natürlich. Du kannst sie nicht töten und sie sind überall.”, sagte Kaya.

Videra streifte ihren Handschuh von ihrer linken Hand, ergriff Kayas Hände und legte sie in ihre. Sie schaute ihr tief in die Augen und flüsterte ihr beschwörend zu: “Du hast keine Angst mehr. Ich nehme dir jetzt deine Angst und sage erlaube dir, dich völlig frei und sicher zu bewegen. Genieß den Abend und habe Spaß!”

Kaya wurde erfüllt von einer wohligen Wärme und fühlte sich sicher wie nie zuvor in ihrem Leben. Die Dunkelheit um sie herum jagte ihr keine Angst mehr ein und sie hatte Lust, zu feiern. Freudig stand sie auf und verkündete, dass sei nun in die Taverne “zum blutigen Helm” wolle. Bolli und Videra erhoben sich um sie zu begleiten während alle anderen sie nur verdutzt anstarrten.

“Kaya, du solltest hier bleiben.”, sagte Rory und stellte sich ihr in den Weg.

“Nein, lass mich. Ich will jetzt feiern gehen. Hier ist es mir zu langweilig. Ihr könnt ja hier sitzen bleiben wenn ihr nicht wollt.”, antwortete sie selbstsicher.

Videra versicherte, dass sie sich um Kaya kümmern würde und unter den verwirrten Blicken der restlichen Windklingen verließen Kaya, Bolli und Videra das Lager und gingen zur Taverne. Dort angekommen setzten sich die drei an einen Tisch zu Bekannten aus der Stadt. Aus der Taverne drangen fröhliche Stimmen und Musik. Kaya gefiel es hier. Als sie sich so umblickte, kam ihr ein Gedanke bezüglich der Schatten und äußerte dies.

“Ihr kennt doch den Spruch: Wo Licht ist, ist auch Schatten?”, fragte Kaya und die anderen bejahten dies. “Also, wenn Schatten nicht ohne Licht sein können, bedeutet dies doch im Umkehrschluss, dass die Schatten nicht bestehen können wenn es kein Licht gibt. Daher müssten wir doch nur überall das Licht löschen damit es keine Schatten mehr gibt.”

“Ja, du hast recht. Du solltest überall das Licht löschen.”, sagte Videra zu ihr.

Kaya stand auf und ging zielsicher in die Taverne, wo sie nun anfing, sämtliche Kerzen auszublasen. An einem Tisch, vollbesetzt mit Soldaten des Imperiums, die dies nicht so lustig fanden und Kaya Prügel androhten. Doch Kaya war schneller und sofort wieder verschwunden. Nachdem sie jedoch auch hinter dem Tresen die Kerzen löschte, wurde sie von einem Kochlöffel-schwingenden Wirt mit Schimpf und Schande aus dem “Blutigen Helm” verjagt.

Kaya feierte noch bis tief in die Nacht hinein mit den anderen bis sie sich verabschiedete und zurück ins Lager ging. Sie fühlte sich befreit und hatte das Gefühl, nichts auf der Welt mehr befürchten zu müssen. Videra hatte nun Kayas Angst und ihr kam das sehr zupass, was sollte ihr denn jetzt noch passieren können?