Von Bienen und einem Hammer

(Kindheit)

-KNACK- ein Ast brach unter Marijas Fuß und sie konnte sich gerade noch festhalten um nicht hinunter zu fallen.

“Kommt sofort runter ihr dreckigen Zwerge.”

-WUSCH- ein Stein flog dicht an Marijas Kopf vorbei.

“Autsch, der hat gesessen”, fluchte Javis und rieb sich das Bein, an dem ihn der Stein getroffen hatte. Marija kletterte weiter nach oben zu Javis um aus der Reichweite des Werfers zu kommen als plötzlich ein Schuh in ihre Richtung flog.

“Scheinbar sind dir wohl die Steine ausgegangen, du Ochse!” rief Marija nach unten.

“Oh ja, gute Idee, reiz ihn noch mehr damit er gar nicht mehr aufhört”, jammerte Javis, “wenn Vater das erfährt, kriegt er hoffentlich Ärger!”

“Ich befürchte, eher wir…”

Javis und Marija waren Zwillinge, Marija war jedoch ein paar Minuten älter als Javis und wie ein kleiner Bruder benahm er sich auch. Im Gegensatz zu Marija war er eher ängstlich und hing oft am Rockzipfel seiner “älteren” Schwester. Wenn es darum ging, etwas auszuhecken oder ihren älteren Brüdern Arne und Fionn Streiche zu spielen, war Marija eher diejenige mit den Ideen, doch Javis war immer mit dabei. Dieses Mal waren sie jedoch wohl etwas zu weit gegangen.

Die beiden hatten auf einem ihrer Streifzüge am Waldrand einen großen Bienenstock entdeckt, diesen vorsichtig vom Ast geschnitten und das Nest in hohem Bogen, auf den Boden geschleudert, direkt neben den unter einem Baum schlafenden Fionn. Es folgte ein spektakuläres Schauspiel. Fionn, von den wütenden Bienen attackiert, sprang mit einem schrillen Schrei, der sehr an eine rollige Ziege erinnerte, auf und tanzte wild mit den Armen fuchtelnd im Kreis. Als er erkannte, dass er es mit einem Gegner zu tun hatte, der ihm weit überlegen war, rannte er fluchtartig davon, konnte die kleinen fliegenden Monster aber natürlich nicht abschütteln. Seine einzige Chance auf Rettung sah er in der Flucht ins Wasser und so steuerte er zielstrebig auf den Teich hinter dem Dorf zu. Nun ja, der Teich war mittlerweile eher ein Tümpel geworden und zum Baden gänzlich ungeeignet, was Fionn jedoch nicht an einem Hechtsprung in die braune Plörre hinderte, um seinen Verfolgern zu entgehen. Seine Aktion war von Erfolg gekrönt, denn die Bienen zogen nach kurzer erfolgloser Suche von ihrem Opfer ab und flogen davon.

Javis und Marija kugelten sich vor Lachen über das dumme Gesicht ihres Bruders. Ein vor Zorn und Schmodder triefender Fionn stieg aus dem Wasser und suchte die Ursache für sein Dilemma. Und er wurde auch schnell fündig. Mit einem Blick, der jeden Barbar in die Flucht geschlagen hätte, quälte er sich aus dem Matsch und rutschte hierbei aus, woraufhin er er erneut rücklings im Tümpel landete, sehr zur Erheiterung seiner jüngeren Geschwister. Die Freude währte jedoch nicht lange denn kaum hatte es Fionn unfallfrei aus dem Wasser heraus geschafft, nahm er sogleich die Verfolgung auf. Marija und Javis nahmen die Beine in die Hand und rannten quer durchs Dorf, Haken schlagend in der Hoffnung, ihrem Bruder zu entkommen. Dieser holte jedoch schnell auf.

“Schnell, auf den Baum da”, keuchte Marija, “rauf folgt er uns garantiert nicht!” Die Zwillinge steuerten auf eine große Linde zu und kletterten hastig den Stamm hinauf. Fionn, vor Wut schnaubend und zeternd suchte etwas, was er werfen konnte…

Marija und Javis blieben noch lange nachdem ihr wütender Bruder abgezogen war, in der Baumkrone und warteten, ob er nicht doch noch einmal käme. Aber er kam nicht mehr. Erst als die Dunkelheit einsetzte, trauten sie sich vom Baum herunter und gingen nach Hause. Nicht, dass sie sich noch zusätzlichen Ärger wegen Zuspätkommens mit ihrem Vater einhandelten, wobei das wohl ihr geringstes Problem sein sollte. Reumütig betraten sie die Wohnstube, wo ihr Vater und ihre beiden älteren Brüder bereits am Tisch saßen und aßen.

“Wir…äh…”, stotterte Marija aber brachte nicht mehr heraus. Angstschweiß trat ihr auf die Stirn, jedoch weniger aus Angst vor ihrem Bruder, sondern eher vor dem Tadel ihres Vaters, der nur schweigend seinen Eintopf löffelte und die Zwillinge keines Blickes würdigte. Unschlüssig standen die beiden da, traten von einem Fuß auf den anderen und warteten auf ihr Urteil. Doch es passierte nichts. Ihr Vater aß ruhig weiter bis sein Teller leer war und richtete dann erst seinen Blick auf seine Jüngsten.

“So, ihr wollt also Imker werden?” sagte Gunnar. War das ein amüsiertes Lächeln, das Marija dort in seinem Gesicht sah?

“Vater, wegen diesen kleinen Bastarden hab ich meinen Hammer in dem dreckigen Tümpel verloren!” brach es aus Fionn heraus.

“Solche Worte will ich in meinem Haus nicht hören, du Esel! Über deinen Umgang mit MEINEM Werkzeug sprechen wir hinterher.” schalt ihn sein Vater und schlug Fionn mit der flachen Hand auf den Hinterkopf, sodass dieser verstummte.

“Auch wenn ich eure Streiche bisweilen meist geduldet habe, seid ihr dieses Mal entschieden zu weit gegangen”, begann Marijas Vater die Standpauke, “zum einen will ich nicht, dass mein Sohn aufgrund von Bienenstichen bei der Arbeit ausfällt und zum anderen haben wir jetzt das Problem mit dem Hammer, den er euretwegen verloren hat.”

“Aber Vater…”, entfuhr es Javis.

“ICH WÜSSTE NICHT, WAS DU JETZT ZU SAGEN HAST”, schrie ihr Vater. Wenn er eines nicht leiden konnte, dann waren das Widerworte, “ihr geht sofort los und holt den Hammer und wenn es die ganze Nacht dauert und morgen früh meldet ihr euch gleich bei Jorn!”

Ohne ein weiteres Wort füllte er sich erneut seine Schüssel und aß weiter. Fionn Blick hatte mittlerweile von einem zornigen Ausdruck auf ein diabolisches Grinsen gewechselt. Javis und Marija verließen das Haus, nahmen eine Laterne vom Haken und gingen Richtung Weiher. Es würde wohl wirklich die ganze Nacht dauern, bis sie den Hammer in der trüben Brühe wiederfinden würden, wenn sie ihn überhaupt wiederfänden. Zudem wussten sie, was sie bei Jorn morgen erwarten würde. Jorn war unter anderem für die Stallungen der Minenpferde zuständig. Das bedeute einen Tag in Pferdedung, faulende Hufe und stinkende Salben auf eiternde Wunden der Tiere auftragen. Zudem stand Jorn auf Kriegsfuß mit allem, was keine vier Beine oder ein Fell hatte und ihm würden genug Schikanen für die Zwillinge einfallen. Das letzte Mal durften Marija und Javis sich um die komplette Entleerung des Aborts kümmern. Außerdem würde ihr Vater es wohl nicht auf dieser einen Strafe beruhen lassen und Fionn würde sich sicherlich auch noch etwas für sie einfallen lassen. Marija und Javis stocherten in dem dunklen Wasser nach dem Werkzeug. Sie brauchten bis weit nach Mitternacht bis sie endlich fündig wurden. Müde und dreckig kehrten sie zurück nach Hause um wenigsten noch ein paar Stunden zu schlafen bis sie ihren Dienst bei Jorn antraten.