Wirtbert

(Terravino im Jahre 1017)

Die Windklingen befanden sich auf dem Heimweg vom Drachentöterfest und befuhren mit ihrem Schiff “der Windrose” nun einen Seitenarm der Ader von Scalewood aus kommend in Richtung Gerhold. Zum Glück war der Hafen nicht mehr weit, denn Cord hatte vielerlei Talente, ein Schiff unfallfrei zu manövrieren gehörte allerdings nicht gerade dazu und so mussten die Freunde einen Zwischenstop in Greyhold einlegen, um ein Leck flicken zu lassen.

Nach Rücksprache mit dem Hafenmeister ließen die Windklingen ihr Schiff ankranen und handelten einen Preis für die Reparatur aus. 200 Silber waren nicht gerade ein Pappenstiel aber zum Glück konnten sie einige der erbeuteten Gegenstände aus ihrem letzten Abenteuer in der Stadt veräußern. Die Reparatur würde einige Zeit in Anspruch nehmen und so wollten die Freunde eine Taverne aufsuchen. Gerade als sie sich auf den Weg in die Stadt machen wollten, hörten sie lautes, sich stetig wiederholendes Platschen von unterhalb des Piers. Sie spähten nach unten und sahen einen schmuddeligen und verdreckten Piraten in einem kleinen Ruderboot, der auf den Pier zupaddelte und hierbei wirr vor sich hin brabbelte. Dort angekommen, nagelte er umständlich einen Zettel in die schweren Holzbalken und fuhr anschließend wieder Richtung Hafenbecken. Hierbei lachte er wie verrückt und sprach weiterhin mit sich selbst. Verdutzt schauten sich alle an.

“Was war denn das für einer?”, fragte Rory.

“Kei..ne…Ah…nung.”, antwortete Kaya.

“Sah aus wie ein Penumbraner”, mutmaßte Tarnis.

“Und was hat er da unten drangehängt?”, fragte Cord in die Runde.

“Schauen wir doch einfach mal nach”, sprach Rosa und marschierte auf den Rand des Piers zu. “Heb mich mal an den Beinen fest.”, wies sie Bolli an und hängte sich mit dem Kopf nach unten über den Rand des Piers. Bolli griff nach ihren Füßen und ließ Rosa nun kopfüber hinunterbaumeln. Diese versuchte nun, den Zettel zu angeln. Hierbei zappelte sie jedoch etwas zu stark, vielleicht war der Boden unter Bollis Füßen auch einfach nur zu klitschig und er verlor den Halt…wie auch immer…die Aktion endete mit einem lauten Platsch und einer patschnassen und laut fluchenden Rosa. Einige missglückte Rettungsversuche später jedenfalls, stand Rosa wieder oben auf dem Pier, den angenagelten Zettel in den Händen.

Der Inhalt des Zettels gefiel jedoch keinem der Freunde.

GESUCHT! SÖLDNERGRUPPE NAMENS WINDKLINGEN! HOHE BELOHNUNG!

Die Freunde schluckten. Es war ein Fahndungsbrief und sie waren die Gesuchten. Scheinbar wollte irgendjemand den Windklingen das Mästen anhängen, das die Penumbraner zu verschulden hatten. Zudem wurde ihnen auch noch der Diebstahl des Schiffs angelastet. Nun hieß es erst einmal schnell runter von der Straße. Sie wollten eine Taverne aufsuchen und dort ihr weiteres Vorgehen planen und so kehrten sie nach langer Suche im “Steading” ein. Es war ein sehr großes Anwesen mit einem großen Tor und einem ehemaligen Wehrturm und vielen Zimmern…vielen leeren Zimmern, denn die Windklingen waren scheinbar die einzigen Gäste. Es kam ihnen zwar äußerst merkwürdig vor jedoch war Ian, der Wirt sehr freundlich und zum anderen hatten die Freunde auch kaum eine andere Wahl, als hier einzukehren.

Im Gastraum tischte Ian den Freunden gut auf und unterhielt sie mit Geschichten und Gerüchten, wie es sich für einen anständigen Wirt gehörte. Er berichtete von den Geschehnissen auf dem Drachentöterfest und die Windklingen lauschten schweigend seinen Erzählungen. Er berichtete von den Gerüchten um die Familie Bach aus Dunkeltann und von Penumbranern, die angeblich den Grenzhort überrannt haben sollen. Bei letzterem verschlug es den Windklingen die Sprache. “Der Grenzhort” war die Taverne ihres Freundes Wirtbert und wenn die Gerüchte stimmten, mussten sie natürlich nachschauen, wie es ihm ging.

Über den Wirt Ian kamen die Freunde an eine Kutsche ran, nebst Kutscher, der bereit war, sofort mit ihnen aufzubrechen. Mittlerweile setzte die Dämmerung ein und es war schon dunkel als die Windklingen den Hof von Wirtbert erreichten.

Von außen sah die Taverne ruhig und friedlich aus. Kein Geräusch durchbrach die Nacht. Nirgends scheinte Licht aus dem Inneren des Gebäudes. Es war gerade zu gespenstig. Die Freunde beratschlagten sich und entschieden, dass sie sich erst einmal einen Überblick verschaffen wollten. Kaya schlich mit Rory um das Haus herum und näherte sich dem Hintereingang während die anderen die Vorderseite in Augenschein nahmen. Kaya versuchte durch die Fenster zu spähen, jedoch schien es drinnen dunkler zu sein als draußen und so konnte sie nur Schatten erahnen. Rory und Kaya erreichten die Hintertür und konnten dort einen angeschlagenen Zettel vorfinden. Gleichzeitig erreichten auch die restlichen Windklingen die Vordertür, an der ebenfalls der gleiche Zettel angebracht war. Auf diesem stand geschrieben:

BETRETEN VERBOTEN - GEZEICHNET, DIE AUREASTETTER MUSKETIERE

Da die Windklingen prinzipiell nicht viel auf derlei Verbote geben und nun erst recht wissen wollten, was mit ihrem Freund Wirtbert geschehen war, gaben sie sich ein Zeichen und betraten gleichzeitig durch den Vorder- und den Hintereingang das Anwesen.

Kaya hatte vor dem Betreten ihr Schwert gezogen und war stellte sich auf einen eventuellen Kampf ein. Doch nichts hätte sie auf das vorbereiten können, was sie nun im Schankraum erwartete. Beim Öffnen der Tür kam ihnen ein beißender Geruch entgegen und ein leises Summen war zu vernehmen. Zunächst sah sie einen riesigen Schatten in der Mitte des Raumes, scheinbar ein Mensch aber in einer grotesken Haltung. Als sich Kayas Augen an die Dunkelheit im Raum gewöhnt hatten, verfestigten sich die Schatten und sie konnte erkennen, wer da im Raum stand. Oder besser gesagt, im Raum hing. Von der Decke herunter baumelte Wirtbert, die Augen starr ins Leere gerichtet und die Bauchdecke aufgeschlitzt, sodass die Eingeweide heraushingen.

Mittlerweile waren alle im Schankraum und jeder war bestürzt über den Anblick. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatten, erkannten die Windklingen einen Zettel, der an Wirtberts Fuß angebracht war und auf dem geschrieben stand:

PIRATEN - WINDKLINGEN = PIRATEN

Irgendwer gab sich scheinbar alle Mühe, die Windklingen aus dem Verkehr zu ziehen. Erst der Fahndungszettel in Greyhold und nun dies. Und der arme Wirtbert war nur ein unschuldiges Opfer in diesem kranken Rachefeldzug. Die Windklingen waren noch sprachlos und völlig schockiert über den Tod des netten Wirtes als sie etwas hinter dem Tresen scheppern hörten.

“Da ist jemand!”, rief Rosa und schon zeigten sämtliche Waffen auf den Tresen.

“Wer auch immer sich da versteckt, komm da sofort raus!” rief Rory und langsam tauchte ein zitternder und völlig verlumpter junger Mann auf, der sich vor Angst fast in die Hose machte.

Die Windklingen verhörten ihn und er stellte sich als harmlos heraus. Er berichtet von einem flaggenlosen einmastigen Schiff, das er auf dem Weg hierher in einer kleinen Bucht bemerkt hatte. Dann wollte er in der Taverne nach Essen betteln und betrat den Schankraum. Vor lauter Schreck vor dem kurz zuvor aufgeschlitzten Wirtbert hechtete der Tagedieb hinter den Tresen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Wirtberts Mörder noch auf dem Gelände, denn der Tagedieb konnte Stimmen hören und blieb daher in seinem Versteck. Hier traute er sich nicht mehr heraus bis die Windklingen kamen und ihn herausscheuchten. Er war zwar laut eigenen Aussagen ein Krimineller, jedoch nur ein kleiner, der sogar Angst vor seinem eigenen Schatten hatte und aus Mitleid ließen die Windklingen ihn ziehen.

Noch völlig überfordert mit all den Ereignissen verließen die Windklingen die Taverne, sie brauchten frische Luft um einen klaren Kopf zu bekommen.

“Äh, die Fackel war doch vorhin noch nicht da…”, sagte Kaya.

Im Boden vor der Taverne steckte eine brennende Fackel im Boden. Natürlich war sie vorhin noch nicht da gewesen aber sie bedeutet wohl nichts gutes und sogleich hörten die Windklingen schwere Schritte, die sich ihnen näherten.

“Sofort alle wieder rein.”, rief Cord und alle hechteten zurück in die Taverne. Egal wer die Fackel aufgestellt hatte, derjenige würde wohl Fragen stellen, was die Windklingen natürlich vermeiden wollten und so eilten die Freunde durch die Hintertür aus dem Haus. Doch es war zu spät. Draußen angekommen, fanden sich die Windklingen umzingelt von Dunkeltanner Soldaten, die ihre Waffen auf sie richteten.

“Ich bin Talias aus Waldgrund und ihr tätet gut daran, euch nicht zu wehren. Erklärt euch, wer seid ihr und was habt ihr hier schändliches verbrochen?”

Die Windklingen hätten auch ohne diese Ansprache keine Anstalten gemacht, sich zu wehren denn die Dunkeltanner Soldaten waren eindeutig in Überzahl und so legten die Freunde ihre Waffen nieder. Sie wurden vor den Haupteingang geführt und dort gefesselt.

“Wir waren das nicht. Wirtbert ist unser Freund. Wir kamen erst vorhin aus Greyhold mit der Kutsche als wir hörten, dass er überfallen worden sein soll.” gab Rosa an.

“Das gilt es nun zu bestätigen.”, sagte der Hauptmann der Wachen. Nach langen Überredungskünsten von Seiten der Windklingen wurde nach dem Kutscher geschickt, um ihre Geschichte zu bestätigen. In der Zwischenzeit mussten die Freunde eine Schriftprobe abgeben, das der Hauptmann mit dem Zettel an Wirtberts Leichnam verglich. Die Windklingen hatten ihre ganze Geschichte bis ins Detail erzählt, als die Soldaten mit dem Kutscher aus Greyhold zurückkamen. Dieser konnte zum Glück die Geschichte bestätigen wonach die Windklingen zum Todeszeitpunkt noch gar nicht hier gewesen sein konnten.

Die Unschuld der Windklingen wurde anerkannt und die Soldaten zogen von dannen. Zu allererst erwiesen die Freunde Wirtbert die letzte Ehre und begruben ihn. In all der Hektik hatten sie ganz den Brief vergessen, den sie auf ihrem Streifzug durch das Anwesen gefunden hatten. Er beinhaltete ein Testament von Wirtbert, wonach die Windklingen nun Inhaber der Taverne waren.