(Land der Lesath im Jahre 1014)
Die Nacht war hereingebrochen, der Himmel war sternenklar. Der über die Wiese wabernde Nebel und das Flackern der Fackeln gaben der ganzen Szenerie etwas Bedrohliches. Kaya stand neben Cord, Roland und Gwen inmitten der anderen Stadtbewohner und wartete darauf, dass es los ging.
Es war Kayas erster Besuch im Land der Lesath und nun standen die Freunde vor einer großen Bühne um dem Eröffnungsritual beizuwohnen. Gemeinsam mit den Städtern Neu-Ostringens waren sie aus der Stadt zu der Wiese marschiert und langsam trafen auch die anderen Lager ein. Im Gegensatz zu den Städtern, die laut schwatzend und recht unorganisiert kamen, marschierten die anderen Lager geschlossen und äußerst diszipliniert auf, um den anderen ihre Größe und Stärke zu beweisen. Es war ein beeindruckendes Schauspiel. Es gab unter anderem das imposante Lager des Königs, die edlen Elben, die wilden Norrelag, die treuen Pilger und einige andere. Doch zwei Lager ließen Kaya frösteln. Die Orks und das Lager des Chaos. Noch nie zuvor hatte Kaya derlei Kreaturen zu Gesicht bekommen. Lautstark und mit Kampfgeschrei und Trommeln marschierten die komplett gerüsteten Krieger auf um alle anderen Lager einzuschüchtern. Bei Kaya hatten sie ihr Ziel jedenfalls erreicht. Als die Chaoten dann noch eine Gruppe Sklaven hinter sich her schleiften, um diese in einem blutigen Ritual vor aller Augen zu opfern, fragte sich Kaya, wo sie hier gelandet sei. Doch anscheinend wurde dieses blutige Schauspiel geduldet.
Dann betrat jemand die Bühne, die umsäumt war von großen Feuerschalen und jeweils einer Flagge der verschiedenen Lager und alles wurde still. Die Lesath, die Götter in deren Land die Spiele stattfanden, sprachen zu der Menge und eröffneten in einer feierlichen Rede die Spiele.
Anschließend sprach von jedem Lager ein Vertreter und repräsentierte die seinen. Auch hier lief es Kaya bei dem ein oder anderen eiskalt den Rücken hinunter. Die Zeremonie dauerte über eine Stunde, doch Kaya erschien es ob der ganzen neuen Eindrücke wie ein kurzer Augenblick. Die Lager zogen wieder ab nachdem sie ihre Fahne unterhalb der Bühne mitgenommen hatten. Einige Städter verweilten noch auf einen Schwatz vor Ort bevor auch sie sich Richtung Stadt, genauer gesagt Richtung Taverne begaben.
Kaya und ihre Gruppe machte sich auch langsam auf den Heimweg als sie an einer Gruppe Magier vorbeiliefen, die sich offensichtlich in einer angeregten Diskussion befanden und sich gegenseitig anschickten, “sie doch endlich zu holen”. Als Kaya und die anderen die Magier schon fast passiert hatten, sprachen diese sie an:
“Hey ihr, seid ihr nicht die Söldnergruppe aus der Messergasse? Wir hätten einen Auftrag für euch.”
Roland und Gwen verabschiedeten sich mit den Worten, dass dies wohl nichts für sie sei in Richtung Stadt und zogen von dannen. Cord, der einen lohnenden Auftrag witterte, ließ sich auf ein Gespräch ein. Die Magier hatten festgestellt, dass das Lager des Imperiums vergessen hatte, ihr Lagerfahne mitzunehmen und wollten diese nun mitnehmen in der Hoffnung, auf lukrative Lösegeldforderung oder dergleichen. Nun sei an dieser Stelle gesagt, dass Magier an sich nicht gerade zu den Mutigsten gehören wenn es darum geht, etwas ohne großes “Piff” und “Paff” zu erledigen und so waren sie froh, dass Cord und Kaya sich, natürlich gegen einen kleinen Obulus, dazu bereit erklärten, die Fahne samt Stange für die Magier sicherzustellen und zu ihnen in die Kesselgasse zu bringen. Die Fahnenstange war gut über zwei meter hoch und das Banner nicht gerade unauffällig, doch zum Glück waren die meisten tatsächlich in der Taverne oder in ihren Lagern und so schafften es Cord und Kaya gemeinsam mit den Magiern ohne großes Aufsehen in die Kesselgasse. Hier überließen sie das Banner den Magiern und nach erfolgter Bezahlung gingen auch Cord und Kaya zur Taverne.
Dort angekommen verloren die beiden keinen Gedanken mehr an die Fahne…bis sie Tarim trafen. Tarim war aus dem Lager der Alkyoniten und meist als Diplomat und Botschafter unterwegs. Zudem war er ein Freund von Cord und hatte ihn bisher stets mit lukrativen Aufträgen versorgt, so auch an diesem Abend.
Tarim beugte sich über den Tisch zu Cord und Kaya und sprach mit leiser Stimme, sodass es kein Unbeteiligter hören konnte: “Mir kam zu Ohren, dass die Fahne des Imperiums am Ritualplatz vergessen wurde.”
“Das ist richtig. Aus sicherer Quelle wissen wir auch, in wessen Besitz sie sich mittlerweile befindet”, antwortete Cord.
Ein verschmitztes Lächeln erschien in Tarims Gesicht. “Das Lager des grünen Kometen wäre sehr interessiert an der Fahne. Doch wäre es doch sehr auffällig, wenn sich plötzlich Alcyoniten in der Nähe der Kesselgasse herumtreiben würden. Da wäre es doch viel erklärbarer wenn dies Stadtbewohner täten…wenn ihr versteht was ich meine.”
“Ich denke, wir verstehen uns”, sagte Cord und trank seinen Met aus.
Auch Kaya leerte ihren Becher und die beiden verließen die Taverne in Richtung ihrem Lager in der Messergasse, welche direkt hinter der Kesselgasse der Magier lag, wo sich die Fahne des Imperiums befand.
Im Lager angekommen, beratschlagten sie ihr weiteres Vorgehen. Kaya schlug vor, einmal durch die Kesselgasse zu gehen um herauszufinden, wo die Fahne denn überhaupt sei. Gesagt getan. Kaya ging im Schlendergang durch die Gasse der Magier und entdeckte auch schnell die Fahne. Die Magier hatten sie vor einem Zelt in eine Bodenverankerung gesteckt. Kaya schaute sich um, nicht weit entfernt hörte sie gedämpfte Stimmen, die Gasse selbst war jedoch leer. Nach kurzem Überlegen, ging Kaya zu der Fahnenstange. Ein letzter Blick, weit und breit war immer noch niemand zu sehen. Kaya umgriff die Stange und rüttelte leicht daran. Sie steckte fest. Vorsichtig versuchte sie, mit beiden Händen die Stange herauszubekommen und rüttelte etwas heftiger. Das Holz der Stange knackte in der Halterung und Kaya ließ von der Fahne ab und trat einen Schritt zurück. Gerade noch rechtzeitig denn in ihrem Rücken kamen gerade zwei Magier aus einem angrenzenden Zelt und blickten in ihre Richtung. Kaya grüßte die beiden stumm und ging zügig, jedoch nicht so schnell, dass es auffällig wirkte, wieder Richtung Messergasse.
“Ich hab sie gefunden. Ich bin auch rangekommen aber sie steckt fest und dann kamen auch noch zwei Magier und ich musste weg”, sagte Kaya zu Cord.
Cord antwortete: “Wir warten bis die beiden Magier wieder weg sind und versuchen es dann noch einmal gemeinsam.”
Nach einiger Zeit des Wartens kehrte wieder Ruhe in der Gasse ein und Cord und Kaya wagten sich hinein. Kein Magier war zu sehen. Cord und Kaya rüttelten an der Stange bis sie sich lockerte als sie wieder Stimmen hörten, die lauter wurden. Kaya ging in Richtung des Zeltes der Stimmen, es hörte sich nach Aufbruchstimmung an, und bedeute Cord, dass sie sich beeilen sollten. Cord hatte es geschafft, die Fahnenstange komplett aus der Halterung herauszuziehen und wickelte nun die Fahne um die Stange. Rasch eilten Cord und Kaya zum Ausgang der Kesselgasse. An der Kreuzung zur Messergasse jedoch kamen Personen aus Richtung Messergasse. Um nicht mit der Fahne entdeckt zu werden, bogen die beiden schnell ab Richtung Waldrand und versteckten sich mitsamt der Fahne im Unterholz. Gerade noch rechtzeitig denn wie sich herausstellte, waren die Personen, die ihnen entgegen kamen drei Magier auf dem Nachhauseweg.
Cord und Kaya lagen reglos im Dickicht, wartend und lauschend. Plötzlich wurde es aus Richtung Kesselgasse lauter und hektischer. Was jedoch genau gesprochen wurde, konnten sie nicht heraushören.
“Sollen wir raus?”, fragte Kaya.
“Ja, jetzt oder nie”, antwortete Cord.
Die beiden kämpften sich aus den Büschen. Vorher entfernten sie jedoch die Fahne von der unhandlichen Stange, welche sie liegen ließen und Cord stopfte sich die Fahne unter sein Hemd. Sie traten aus dem Waldpfad heraus und konnten nun aus der Kesselgasse die aufgebrachten Magier hören.
“Wo ist die Fahne? Jemand hat sie gestohlen! Findet den Dieb!”
Kaya und Cord gingen zügig aber nicht so schnell, dass es auffällig wirkte, durch die Messergasse. Dort wartete auch schon ihr Auftraggeber Tarim auf sie und lächelte die beiden an. Die Drei gingen gemeinsam ein paar Schritte, in Richtung Alcyonitenlager.
“Wart ihr erfolgreich?” flüsterte er ihnen zu.
“Nun ja, sagen wir mal so…ich war nicht immer so dick.” antwortete Cord und deutete unauffällig auf sein ausgebeultes Hemd. Tarim lächelte kommentarlos. Kurz vor der Palisade des Alcyonitenlagers, geschützt durch die Dunkelheit vor Zuschauern übergab Cord die Fahne an Tarim. Dieser, nun noch breiter grinsend nahm sie entgegen und zahlte Cord und Kaya ihren Lohn. Der erste Tag im Lande der Lesath hatte gerade erst begonnen und schon klimperte eine Hand voll Kupfermünzen in Kayas und Cords Geldbeutel, so konnte es ruhig weitergehen.