So manch einer mag gestaunt haben an dem Morgen, als er einen Brief von einem völlig Unbekannten erhielt. Und noch größer wurde das Staunen über das, was folgte:
(HIER BRIEF EINFÜGEN)
Diejenigen, die einen Brief erhielten, hielten alle denselben Text in den Händen. Nur die Symbole am Ende des Briefs waren nicht bei jedem gleich viele. Während die meisten ein oder zwei Symbole auf dem Brief gesehen hatten, konnten andere 3 oder gar 4 Symbole auf dem Papier erkennen, ehe es Feuer fing.
Einige sprachen darüber, andere behielten es für sich. Aber jedem der Empfänger war klar, dass die nächste Reise in die Taverne im Grenzgebiet von Greyshire, Seranno und Penumbra führen würde.
Es war eine kleine, aber sehr gemütliche Taverne. Da sie schon an diesem Ort stand, bevor das Gebiet durch Greyshire erobert wurde, war sie noch immer recht maritim eingerichtet. Hier hing ein Steuerrad, dort schmückte ein kleines Schiff einen Tisch. Die Flaggen, Fahnen und Bilder an den Wänden zeugten noch von der Zeit unter penumbranischer Flagge, auch wenn dazwischen mittlerweile auch Gegenstände in den Farben Serannos und Greyshires zu finden waren.
Franco, der Wirt, staunte nicht schlecht, als sich die Taverne binnen weniger Stunden rasant füllte. Er war es zwar gewohnt, dass hier oft Gäste kamen und gingen, da der fette Barsch an einer Handelsstraße in der Nähe einer wichtigen Brücke stand. Doch so schlagartig kamen die Leute selten.
Als die Reisenden eintraten, waren bereits Gäste in der Taverne. Reisende aus Bornstein, die auf ihrer Durchreise zufällig in der Taverne eingekehrt waren denn nicht jeder der Anwesenden hatte den mysteriösen Brief erhalten. In einer Ecke am größten Tisch saßen drei Piraten…verzeiht…Freibeuter. Ein Teil der Crew der Falcon Negro, Captain Medrano, sein erster Maat Morgan Marley sowie der stets betrunkene Schiffsarzt Pierson Stryker. Daneben saß ein seltsam anmutender Mann, der ein schwarzes, mit Federn geschmücktes Gewand trug. Sein Gesicht war schwarz-weiß geschminkt und erinnerte an einen Totenschädel.
Die hinzugekommenen Reisenden versuchten, sich nichts anmerken zu lassen, doch der Anblick des weißgesichtigen Mannes war für viele sicher beunruhigend oder zumindest interessant.
Die ersten Mittagsstunden in der Taverne schienen völlig gewöhnlich. Man saß bei Bier und süßen Speisen zusammen und tauschte sich über dieses und jenes aus. Vor der Taverne gab es auch eine Duell, obgleich es etwas ungewöhnlich war, da es weder mit Fäusten noch mit Schwertern ausgetragen wurde, sondern mit… Fischen.
Man hätte meinen können, dass der Tag völlig ereignislos verstreichen würde, bis sich der schwarz gekleidete Mann plötzlich erhob. Mit seinem Wanderstab, der mit einem Vogelschädel und allerlei Knochen und Perlen geschmückt war, schritt er durch den Schankraum und begrüßte alle Anwesenden mit einem merkwürdigen, aber doch eingängigen Akzent. Er stellte sich als Papa Shango vor. Er sei froh, dass alle seiner Einladung gefolgt waren. Einige der Gäste tauschten misstrauische Blicke aus. Was wollte dieser finster wirkende Unhold von ihnen?
Shango ließ sich von den fragenden Blicken jedoch nicht irritieren.
“Ich biete euch an, euch zu sagen, was ich weiß, wenn ihr mir sagt, was ihr wisst.”
Die Empfänger der Briefe waren nicht zufällig ausgewählt worden. Jeder, der in den letzten Jahren in irgendeiner Form an den Geschehnissen beteiltigt gewesen war, in denen die Rote Hand irgendwelche Gegenstände oder Artefakte an sich gerissen hatte, war seither von einer Aura umhüllt. Und mit einem aufwändigen Zauber war es Shango gelungen, die Auren - und damit ihre Träger - zu erspüren und ihnen eine Nachtricht zukommen zu lassen.
Doch Shango arbeitet nicht alleine. Er ist ein Mitglied der Schwingen des Zuul, einem Geheimbund, der sich dafür einsetzt, das “Gleichgewicht” in Terravino aufrecht zu erhalten. Die Reisenden waren sich im ersten Moment nicht sicher, was dies bedeutet. Doch aus den weiteren Ausführungen Shangos wurde bald klar, dass er und seine Organisation versuchten, die Rote Hand aufzuhalten, da sie sonst einen Bestar mit dem Drachen von Squire's Hill eingehen würden, was dem Untergang Terravinos und womöglich auch großen Teilen der Mittellande gleichkäme.
Shango bot den Reisenden an, ihnen die Augen zu öffnen. “Ihr wisst mehr als ich, aber ich kann euch helfen, euer Wissen zu sehen, wenn ihr mir folgen wollt.” Viele zögerten. Aber allen war klar, dass die Rote Hand ihr Werk nicht zu Ende bringen dürfe. Und so konnte Shango sie davon überzeugen, sie in seinen Ritualraum auf dem Speicher einer unscheinbaren Hütte zu begleiten. Doch er nahm nicht alle mit. Aus irgendeinem Grund schien er bestimmte Personen auszuwählen, die ihm zu dem Ritual folgen sollten. Er machte seine Auswahl an etwas auf den Handgelenken der Reisenden fest, das offenbar nur er sehen konnte. Vielleicht konnte er immer noch die Zeichen sehen, welche die Reisenden nach dem Lesen ihrer Briefe auf ihren Handgelenken sahen.
Im Ritualraum befand sich im Grunde nichts außer einem eingezeichneten Ritualkreis mit einigen Kerzen. Der Kreis enthielt in erster Linie die Zeichen von allen neun Göttern, außer Sinduul. Der große, leere Kreis im Inneren war dem Gott der Geheimnisse gewidmet, der selbst kein Symbol hatte. Und in diesem leeren Kreis stand nun Papa Shango, umgeben von den auserwählten Begleitern, die er nach oben zitiert hatte.
Shango begann damit, die neun Götter einen nach dem anderen anzusprechen. Er bat alle Neun, ihm die Geheimnisse und das Wissen zu offenbaren, welches in den Mitwirkenden des Rituals schlummerte.
Dann verfielen alle in eine Art Trance. Vor ihrem geistigen Auge wurde es dunkel. Eine Männerstimme, mal fern, mal nah, hallte durch den Raum:
“Diese Lehrlinge haben den Schädel mit ihrem Ritual an diesen Ort gebunden. Ich selbst konnte nichts dagegen tun. Für Lehrlinge waren sie sehr gründlich. Aber wenn du meinst, dass es für dich kein Problem darstellt, den Schädel zu bekommen, Ilaria, dann kümmere du dich darum. Ich werde mir derweil überlegen, wie wir an diese Schuppe herankommen.”
Die Stimme wurde leiser und verblasste. Aber auf einmal war da etwas anderes. Für einen Augenblick schien es, als würden die Reisenden aus der Vision erwachen. Sie öffneten ihre Augen. Da saßen sie alle. Vor ihnen der Ritualkreis. Doch um sie herum war nichts mehr. Kein Raum, kein Licht, kein Shango. Und im Kreis stand nichts geringeres, als der Schädel des Wahnsinns, den jeder von ihnen damals in Rivida gesehen hatte und der einige von ihnen beinahe den Verstand gekostet hätte.
Ein Greller Blitz vor ihren Augen riss sie aus dem Traum. Plötzlich war da wieder der Dachboden. Und Shango, der merklich erschöpft in dem Ritualkreis stand.
“Konntet ihr etwas sehen!?”, keuchte er.
Die Anwesenden unterhielten sich kurz über das Gesehene. Schnell war allen klar, dass die Männerstimme die von Matteo Gillio gewesen sein muss, der sich mit Magierin Ilaria über den Schädel des Wahnsinns unterhalten hatte. Man entschied, diese Informationen an die übrigen Reisenden in der Taverne weiterzutragen. Im Schankraum angekommen, überreichte Shango ihnen seine Kiste, in welcher unzählige Schriftstücke lagen. Aufzeichnung zu allem Möglichen, das die Rote Hand und ihr Wirken betreffen könnte. Gedanken einiger Mitglieder der Schwingen des Zuul. Skizzen von Menschen, die im Verdacht standen, der Roten Hand anzugehören. Die Schwingen hatten schon vieles herausgefunden. Aber noch ergab sich aus all dem kein Gesamtbild. Die Reisenden würden mit ihrem Wissen die Einzelteile zusammensetzen müssen.
Neben den Schriftstücken befand sich auch ein Kryptex in der Kiste. Eine Messingröhre mit Buchstaben und Symbolen daran, die sich nicht öffnen lässt, ehe man die Buchstaben in die richtige Reihenfolge schiebt und somit eine Art Passwort bildet. Shango erklärte, dass er die Freibeuter der Falcon Negro damit beauftragt hatte, in Veraxio einen alten, verlassenen Tempel Sinduuls zu finden und dort nach einem wichtigen Gegenstand zu suchen. Kaum einer sei wagemutig oder töricht genung, ausgerechnet in Veraxio nach irgendetwas zu suchen. Doch die Piraten waren - gegen eine angemessene Menge Gold und Kristall - bereit gewesen, sich der Sache anzunehmen. Und sie waren scheinbar erfolgreich, denn sie brachten das Kryptex mit. Doch noch wusste niemand, mit welchem Wort es zu öffnen war.
Während im Schankraum rege Diskussionen und Nachforschungen entflammt waren, stand Shango mit den Freibeutern draußen vor der Schenke. Als er einem der Seefahrer mit der Hand auf die Schulter klopfte - vielleicht um sie für ihr vollbrachtes Werk zu loben - wurden seine Augen groß.
“Was ist das? Wieso tragt ihr diese Aura?!” Shango fuhr mit seiner Hand von der Schulter des Piraten an dessen Arm entlang nach unten bis zum Handgelenk, welches er mit beiden Händen fasste und beinahe panisch anstarrte.
“Ihr kommt sofort mit mir mit!”
Und ohne eine Antwort abzuwarten, humpelte er los in Richtung seines Ritualraums. Er war noch immer geschwächt von der ersten Vision doch scheinbar eilte es zu sehr, als dass er sich noch ausruhen konnte. Die sichtlich verwirrten Freibeuter schauten sich kurz an und folgten ihm. Einige der Reisenden beobachteten das Schauspiel und folgten ihnen in einigem Abstand. Sie warteten vor der Hütte, während Papa Shango mit den Seeleuten nach oben ging. Das Klopfen seines Stabs und die Stimmen der Ritualisierenden schallten gedämpft aus dem Dachboden. Dann wurde es still. Und wenig später kamen die Vier wieder heraus. Shango schien erschöpft aber auch erzürnt, während die Piraten in rechtfertigendem Tonfall beteuerten, dass sie den “Kragen” für unwichtig hielten.
In der Taverne erzählten die Piraten dann, wieso Shango so zornig war. Er hatte sie in den Tempel geschickt, um wichtige Gegenstände mitzubringen. Das Kryptex hatten sie für wichtig genug erachtet und ihm auch gebracht. Was sie Shango verschwiegen hatten, war, dass im Tempel auch ein alter Lederkragen herumlag. Unscheinbar, aber robust und von etwas ungewöhnlicher Machart. Die Piraten hatten den Kragen als “persönliche Beute” mitgenommen, davon ausgehend, dass Shango nur das Kryptex haben wollen würde. Als sie auf ihrem Rückweg Rast machten, begegnete ihnen jedoch ein Fremder. Der Fremde war auffällig interessiert an dem Kragen und hatte ihnen daher 10 Goldstücke für ihn geboten. Captain Medrano fackelte nicht lange. Er gab dem Fremden den alten Kragen zu diesem - wie er dachte - völlig überteuerten Preis.
Und genau diesen Kragen hatten die Piraten vor wenigen Augenblicken in der Vision gesehen. Ebenso den Fremden. Ein Mann in seinen besten Jahren, mit einer großen Narbe, die von seiner rechten Augenbraue über die Nase hinweg bis über die linke Wange reichte. Vermutlich eine Narbe von einem Schwert oder ähnlichem.
Die Reisenden am großen Tisch, die gerade über den Unterlagen der Schwingen des Zuul brüteten, horchten auf. Die Beschreibung des Fremden passte auf Charles Morrigan, den verschollenen Bruder der Countess von Greyshire.
Plötzlich kam der junge Robin Green, der für den Wirt arbeitete, hastig in die Taverne gelaufen. “Kapitän, Kapitän!”, rief er aufgeregt und wedelte mit einem kleinen Zettel herum. “Da draußen war ein Mann, der hat mir das für euch gegeben!”
Captain Medrano nahm ihm genervt den Zettel ab. Diskretion war scheinbar nicht die Stärke des Jungen. Der Seemann überflog den Zettel, rollte mit den Augen und ächzte. “Erwartet der etwa, dass ich bei diesem Mistwetter rausgehe?! MAAAAT! Herkommen!” Morgan kam dazu. Ihr Blick verriet, dass sie eine erneute, lästige Aufgabe erwartete.
“Hier, kümmere dich darum”, raunte der Captain und gab ihr den Zettel.
Sie überflog ihn ebenfalls.“Bitte was? Ich soll jetzt in den Wald laufen oder was?”
“Ja, sollst du”
“Hrm.. aye..”, meinte sie nur. Und dann sah sie überlegend zu ihrem Schiffsarzt. Dem sie wiederum den Zettel zusteckte. “Hier, der Captain will, dass du dich darum kümmerst.”
HICKS! Stryker begutachtete den Zettel und grinste breit. Wieso sich selbst die Finger schmutzig machen wenn das auch andere erledigen können? Suchend schaute der torkelnde Schiffsarzt sich um und steckte den Zettel kurzerhand, mehr oder weniger unbemerkt, der erstbesten Person zu, die neben ihm stand und ihm den Rücken zugewandt hatte. Es war ein Mitglied der Greifensteiner Garde aus Bornstein.
Im ersten Moment schien der Zettel nicht weiter zu interessieren. Doch nach einger Zeit kam Bewegung in die Taverne. Die Bornsteiner Gesellschafft hatte sich scheinbar gedanklich und materiell auf die Schatzsuche eingestellt. Nach und nach standen einige der Reisenden auf und sammelten sich vor der Taverne. Auch Zenobius Pfeffersack war unter ihnen. Sie waren sich alle nicht sicher, ob der Zettel etwas mit den restlichen Geschehnissen zu tun hatte, denen sie nachgingen, also wollten sie das überprüfen.
Und so marschierte etwa ein Dutzend der Reisenden in den Wald. Es stellte sich heraus, dass jeder der Zettel zu einem weiteren versteckten Zettel führte. In Wortspielen und Rätseln hangelten sich die Reisenden von einem Hinweis zum anderen. Manche im Wald, manche in der Holzhütte. Einer war sogar im Brunnen versenkt. Ein regelrechtes Stöhnen ging durch die Gruppe, als sie nach Stunden zum letzten Hinweis gelangte, nur um festzustellen, dass das Ziel dieser Rätsel in eben dem Schankraum wartete, den sie zuvor verlassen hatten. Auf einem Dachbalken stand ein kleines, unscheinbares Holzfass. Und in diesem waren zahlreiche große Piratenmünzen und zwei Fläschchen verborgen, die sich später als Zaubertränke herausstellten.
Doch auf ihrer Reise durch den Wald fand die Gruppe nicht nur Papier und Wortspiele. Einer aus der Gruppe hatte eine gelbe Minora entdeckt. Viele der Anwesenden waren noch keiner Minora begegnet und so standen sie eine Weile um die seltsame Pflanze herum, die statt Blättern und Blüten kleine gelbe Kristalle an ihren Ästen hervorbrachte.
Bolli Baltison, der ebenfalls unter ihnen war, erklärte, dass er schon häufiger Minoras gesehen hatte. Er mutmaßte, dass die Pflanze immer dort wächst, wo jemand einen gewaltsamen Tod fand. Er war sich jedoch nicht sicher, da ihm in Erinnerung war, dass die Pflanze auch Kristalle in anderen Farben haben konnte.
Letzten Endes wusste keiner der Anwesenden genug über die Minora, um abschätzen zu können, ob sie eine Gefahr darstellte oder ob man sie pflücken könnte. Die Druidin Gentiana wurde aus der Taverne hinzugeholt.
Gentiana und eine handvoll Männer sammelten sich um die Pflanze und die Druidin versuchte mit der Pflanze zu sprechen. Sie stellte der Minora Fragen und bat um Antworten, doch diese blieben leider aus. Scheinbar konnte die Druidin keine Verbindung zur Pflanze herstellen, ob es an den Gesprächen um sie herum lag oder der kurzweiligkeit der Aufwendung… die Antwort blieb aus. Daraufhin entnahm sie und ein paar Gefährten die Kristalle der Minora und ernteten sie ab. Zurück vor der Taverne wurden Theorien ausgetauscht um die Farbe der Kristalle zu ändern. Aber auch ein sehr schönes und langes Gebet durch Robert Hut konnte die Farbe des Steines nicht verändern.
Papa Shango kam auf die diskutierende Gentiana zu, der sie wissend und fast ein wenig schelmisch anlächelte.
“Du solltest mit mir kommen. Ich möchte dir helfen, zu sehen.”
Gentiana schluckte. Sie war bereits bei der ersten Vision dabei gewesen. Dass sie dieses Mal scheinbar alleine nach oben kommen sollte, kam ihr jedoch eigenartig vor. Doch sie folgte Shango.
Das Ritual verlief sehr ähnlich dem ersten. Wieder die Schwärze. Wieder Stimmen. Doch diesmal war es keine einsame Männerstimme, die da sprach. Gentiana hörte vielzählige Stimmen. Stimmen, die lachten, die sangen. Sie hörte sogar Musik. Vor ihrem inneren Auge sah sie sogar die Schemen tanzender Menschen, die verzierte und bunte Halbmasken trugen. Ihr war schnell klar, wo das war. Auf den Weinfesten in Seranno trugen die Menschen immer Masken. Immer dann, wenn die Weinkönigin gekührt wurde.
Gentiana sah nach unten. Vor ihr war noch immer der magische Kreis mit den Göttersymbolen. Und in seiner Mitte lag nun ein goldenes Diadem, besetzt mit Edelsteinen. Nach dem Ritual vermutete sie sofort, dass es die Weinkrone gewesen sein muss. Die Krone, welche die amtierende Weinkönigin auf dem Kopf trägt. Offenbar musste auch dieses eigentlich unscheinbare Schmuckstück eine mächtige Aura innehaben. Und damit potentiell interessant sein für die Rote Hand.
Sie berichtete den anderen von ihrer Vision. Alle waren sich einig, dass es sich um die Krone der Weinkönigin handeln musste. Aber war diese schon im Besitz der Roten Hand? Eigentlich sollte es ja nicht allzu schwer sein, an die Krone ranzukommen. Jedenfalls nicht, wenn einem Menschenleben so wenig bedeuteten, wie der Roten Hand oder der Blutigen Klinge.
Einige saßen in der Taverne zusammen, andere tuschelten vor der Tür miteinander oder unterhielten sich gerade bei einem Spaziergang im Gelände. Papa Shango saß draußen an einem Tisch und war im Begriff, eine bestimmte Auswahl an Reisenden für seine nächste Vision herauszusuchen. Doch er wurde von dem aufgeregten Jaulen von Schiffsarzt Stryker unterbrochen, der -wie immer betrunken- zu ihm rannte.. oder eher zügig wankte?
“Papa Shango! Legat! Ein Legat ist auf dem Weg hierher!”, keuchte der Freibeuter.
Shango sah erst den Piraten und dann alle anderen erschrocken an. “Versteckt alles, was irgenwie Magisch oder eigenartig ist!”. Und mit diesen Worten kroch Shango hektisch unter den Tisch, sodass er gänzlich von der Tischdecke verborgen wurde. Sein Verhalten blieb nicht unbemerkt. Viele sahen sich besorgt um, ehe sich die meisten Blicke in Richtung der Straße wandten, wo ein einzelner Mann, gerüstet und mit purpurnem Wappenrock, auf das Haus zu marschierte. Er trug einen Helm und an seinem Gürtel baumelte ein schwerer Kriegshammer mit eher kurzem Stil. Ein ledernes Buch baumelte an einem Riemen auf seiner rechten Seite.
Der Mann blickte sich misstrauisch um, als er die Taverne erreichte. Er sagte nichts zu den Umstehenden, sondern betrat zielgerichtet den Schankraum, wo ihn ein sichtlich nervöser Franco Frangelico in Empfang nahm. Der Legat, den Franco mit dem Namen Tiberius ansprach, reichte dem Wirt ein Bündel Zeitungen aus Veraxio. Scheinbar gab er diese hier regelmäßig ab. Außerdem gebat er den Wirt, einen Steckbrief laut vorzulesen, den er ihm zuvor reichte.
Der aufgeregte Wirt trat in die Mitte des Raumen und begann widerwillig, den Steckbrief vorzulesen.
(HIER STECKPRIEF ALS POPUP)
Noch während er las, schritt der Legat durch den Raum und musterte die Anwesenden interessiert. Draußen kam derweil Bewegung auf, obgleich langsam und unauffällig. Der große Schild von Bolli Baltison, der draußen an der Wand lehnte, wurde heimlich umgedreht, sodass nur seine Rückseite zu sehen war. Außerdem entfernten sich einige der Reisenden in sichere Entfernung, einschließlich des kargenfelsischen Schildbesitzers Bolli.
Vielleicht schöpfte der Legat für einen kurzen Moment Verdacht. Doch wurde er von mehreren der Reisenden mit Fragen und Gesprächen abgelenkt und alle, die augenscheinlich “auffällig” für einen Magierjäger sein könnten, waren mittlerweile untergetaucht. Und so entschied der Legat, seine Suche nach den im Steckbrief gesuchten Personen anderswo fortzusetzen.
Shango sackte nach dem Ritual erschöpft zusammen.Die Vision hatte ihm das letzte Bisschen Kraft geraubt. Eilig halfen einige der Reisenden ihm auf und stützten ihn.
Ein kalter Schauer jagte einigen noch über die Schulter. Es war kein Zufall, dass Shango ausgerechnet sie zu diesem Ritual mitgenommen hatte. Die kleine Gruppe der Reisenden, die um den Ritualkreis saß, bestand ausschließlich aus denen, die auch beim Drachentöterfest im Jahre 1017 anwesend waren, denn jeder von ihnen hatte das Stimmengewirr in der Vision sofort wiedererkannt.
“Tiiaamaaat, wirr rruffen dichhh. Wo Tod issst, ssoll Leben ssein”
Der Satz wiederholte sich nochmal und nochmal, bis er von der lauten Stimme eines Mannes übertönt wurde.
“Das Ritual ist beendet! Blutige Klingen, vollbringt euer Werk!”
Schemenhaft konnten die Reisenden nun die Umrisse von verhüllten Männern sehen, die lange Messer zogen und auf einige andere Männer in gleicher Robe einstachen. In ihrer Mitte stand “Der Nachtschatten” vor einem Altar, auf dem ein großes, schuppiges Ei stand, dessen schwarze Schale gerade barst.
Mehrere schmerzerfüllte Schreie halten durch die Schwärze des Rituals.
“Es ist vollbracht!”, tönte Nachtschatten. “Die Rote Hand wird siegen!”
Die Umrisse verschwanden. Leere umgab die Reisenden. Und auch die Stimmen wurden leiser und verstummten schließlich.
Als die Stimmen in der Vision verhallten, war diese aber noch nicht zu Ende. Eine finstere Gestalt in schwarzer Robe tauchte vor dem geistigen Auge der Reisenden auf. Das zerschlissene Gewand war voll von eingetrocknetem Blut und das Gesicht des Mannes war blass und zeigte Spuren von Verwesung. Es war “Der Bleiche”, der Lich, der Squire's Hill unsicher machte, als die Ebenen sich während des Schattendruiden-Rituals verwoben hatten. Doch es ging in der Vision nicht um den Lich. Er war vernichtet. Nein, es war der Stab, den er in seiner Hand hielt. Der Stab des Bleichen, der es vermochte, Tote als Untote auferstehen zu lassen und sie zu kontrollieren. Ein Artefakt, so finster wie mächtig und ideal für das Vorhaben der Roten Hand.
Sie konnten wohl kaum mit diesem Artefakt geplant haben. Dass der Lich auf diese Ebene wechseln würde, war nicht abzusehen gewesen. Auch nicht für die Rote Hand. Aber sie hatten das Potential des Stabs erkannt und rasch gehandelt. Gewaltsam wurde der Stab aus der grauen Feste entwendet.
Und wieder hatten die Reisenden eine Lücke im Flickenteppich ihrer Erkenntnisse geschlossen.
Shango tat sein Bestes, sich in der Taverne zu regenerieren. Doch er wusste, dass die Zeit drängte. Mittlerweile war er zu der Überzeugung gelangt, dass niemand zufällig den Weg hierher gefunden hatte. Selbst diejenigen Gäste, die zum ersten Mal in Terravino waren, hatten dazu beigetragen, Klarheit in das Gespinnst aus Fragen zu bringen. Vielleicht war es der Wille der Götter, dass sie halfen. Und vielleicht war es dann auch angemessen, dieses Mal jedem der Anwesenden die Möglichkeit zu geben, dem Ritual beizuwohnen und nicht nur denen, die eines der unsichtbaren Zeichen trugen.
Und so lud er alle Anwesenden ein, ihm zum nächsten Ritual zu folgen. Und viele folgten seiner Einladung. Die Dielen des Ritualraums ächzten unter den vielen Füßen. Diejenigen, die das fünfte Zeichen in sich trugen, setzten sich um den Ritualkreis. Die Übrigen standen drumherum.
Shango vollführte sein meditatives Ritual. Wieder bat er alle Neun um Hilfe und wieder legte sich Dunkelheit um alle.
Verzweifelte Schreie hallten noch in den Köpfen derer wider, die am Ritual teilgenommen hatten. Sie hatten in ihrer Vision die panischen Worte eines Mannes gehört, der verraten wurde. Verraten auf die furchtbarste Art und Weise. Von seinem eigenen Bruder.
“Charles… Charles was tust tu da?! CHARLES, NICHT!”
Die letzten Worte des Aberforth Morrigan von Greyshire, eher sein Flehen durch einen schmerzerstickten Schrei unterbrochen wurde. Jeder wusste, dass sein Leichnam vor langer Zeit am Ufer der Ader gefunden worden war. Auch war bekannt, dass von seinem Bruder Charles seither jede Spur fehlte. Was jedoch niemand für möglich gehalten hätte, war, dass Charles der Mörder seines Bruders war.
Aberforths Worte waren nicht das Letzte, was die Reisenden in ihrer Vision gehört hatten. Charles' Antwort an seinen Bruder war ebenfalls zu vernehmen gewesen.
“Es tut mir leid, mein Bruder. Ich tue das für etwas Größeres. Für etwas wichtiges. Für die rote Hand.”
War das der Grund für Charles' Verschwinden? Hatte er sich der Roten Hand angeschlossen? Wie die Reisenden zuvor in den Unterlagen gelesen hatten, die Papa Shango ihnen bereitgestellt hatte, verkehrte Charles in den Monaten vor seinem Verschwinden häufig in Seranno. Genau genommen suchte er oft die Gesellschaft von Matteo Gillio.
[KEINE AHNUNG, WAS DA NOCH GELAUFEN IST. SCHEINBAR HABEN DIE SC DIE MINORA NOCH BLAU GEFÄRBT IRGENDWIE]